Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

When War Returns IXX:

"Denunzianten und Denunzierte?"

Intervention 01. - 31. August 2023

Wer denunzierte Helene Taussig wirklich?

 

Helene Taussig (* 10. Mai 1879 in Wien; † 21. April 1942 im Transit-Ghetto Izbica) war eine österreichische Malerin. Nach dem Tod ihres Vaters, des Gouverneurs der k.k. Boden-Creditanstalt Theodor von Taussig, widmete sie sich ab 1910 gänzlich der Malerei. Sie lebte und arbeitete ab 1919 in Anif bei Salzburg, Ausstellungen ab Mitte der 1920er-Jahre folgten.

 

1940 wurde sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Anif ausgewiesen, 1941 enteignet und am 9. April 1942 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert. Helene Taussig wurde vermutlich bereits vor dem 21. April 1942 in einem der NS-Vernichtungslager Belzec, Sobibor oder Majdanek ermordet.

"Taussig Nr. 07", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Taussig Nr. 07", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Wer denunzierte Helene Taussig bei den Salzburger NS-Behörden? In der Zeit zwischen dem Anschluss Österreichs im März 1938 und der Ausweisung aus Anif 1940? Stand Helene Taussig seit Jahren auf einer der NS-Listen der zu enteignenden Personen? Einer Liste, die womöglich sogar aus der illegalen NS-Zeit in Salzburg stammte?

 

Die NSDAP war in Salzburg bereits einige Jahre vor der 1933 in Deutschland erfolgten Machtübernahme bzw. -ergreifung Adolf Hitlers aktiv. Die Partei hielt laufend Informations- und Diskussionsveranstaltungen ab, nachdem ab 1930 ihre deutschen Wahlergebnisse immer besser wurden, und inserierte in Salzburger Zeitungen:

Quelle: "Salzburger Volksblatt", 21.01.1930
Quelle: "Salzburger Volksblatt", 21.01.1930

Erfolgte die Denunziation Taussigs aus Neid, etwa von Bürgern aus der kleinen, etwa 1000 Einwohner zählenden Gemeinde Anif? Oder gar aus dem engsten Umfeld des sie umgebenden Künstlerkreises? Denn dieser bestand, wie sich später herausstellen sollte, auch aus zahlreichen NS-Mitläufern und Karriere-Opportunisten, aus offen bzw. versteckt deutschnational gesinnten Künstlerfreunden. Ging Helene Taussig in jenem NS-Sumpf unter, in den sich etliche ihre Künstlerkolleginnen und -kollegen längst freiwillig hineinbegeben hatten? Ist es wirklich auszuschließen, dass beispielsweise der Maler Karl Reisenbichler abgesehen von seiner NSDAP-Mitgliedschaft (seit 1933), seiner Funktion als Salzburger NS-Fachschaftsleiter für bildende Kunst (ab 1938) sowie jener des stellvertretenden Landesleiters der Reichskammer für bildende Künste Salzburgs (ab 1940; Landesleiter ab 1942), evtl. auch ein persönliches Motiv hatte?

 

 

Atelier-Villa in Anif Freiheit in Salzburg?

 

Seit 1919 in Anif bei Salzburg ansässig, hatte Helene von Taussig das – väterlicherseits wegen der erfolgreichen Konsolidierung der Boden-Creditanstalt sowie des privaten kaiserlichen Familienfonds – erhaltene "von", trotz Adelsaufhebungsgesetz von 1919, niemals abgelegt. Nach dem Tod des Vaters, entfernte sich Helene Taussig aus der familiären Umklammerung und konvertierte in der neu gewonnenen Freiheit in Salzburg nicht nur zum katholischen Glauben, sondern lebte, wie es in den 1920er und 30er Jahren diskret formuliert wurde, mit ihren künstlerischen Gefährtinnen zusammen, arbeitete und unternahm, teils noch vor 1920, ausgedehnte Reisen mit diesen; mit Emma Schlangenhausen unter anderem in die Schweiz und nach Paris.

 

Nach dem Verkauf der elterlichen Villa in Wien und der Aufteilung des Vermögens unter den zahlreichen Familienmitgliedern, ließ sich Helene Taussig 1934, als in Wien Engelbert Dollfuß bereits das Parlament ausgeschaltet hatte und die demokratiezersetzenden autoritären Aktivitäten auf Tagesbasis zunahmen, eine Atelier-Villa bauen. Die Planung des Bauvorhabens erfolgte durch den jungen Salzburger Architekten Otto Prossinger, für den der Auftrag eine seiner ersten größeren Planungsarbeiten darstellte.

 

Helene Taussig zog sich in das von ihr liebevoll "Schneckenhaus" genannte Atelier-Haus zurück. In ihre eigene Welt, mit einem Hauch von "splendid Isolation" und dem Vorhaben, ihre Karriere als Malerin weit über die Grenzen Salzburgs hinaus, mit Ausstellungen in Wien, Den Haag und Paris in Gang zu bringen. Vielleicht wurde ihr die eigene politische Naivität, verstärkt durch ihre großbürgerliche Herkunft, zum Verhängnis. Vielleicht reichte aber der Denuntiationsarm aus Salzburg gar bis in das "Altersheim der Karmeliterinnen für nicht-arische Katholikinnen" in Wien, in das sie sich geflüchtet hatte? War ihre Deportation ein "normales" verhängnisvolles Geschehnis während der NS-Diktatur, das sich aufgrund der Schließung des Altersheims als Zufluchtsstätte ereignete?

 

 

Aktivitäten der Salzburger Wassermänner und -frauen

 

Nach dem Ersten Weltkrieg existierte in Salzburg die Künstlervereinigung "Wassermann" zu der u. a. Maler wie Anton Faistauer zählten. Im Zuge divergierender Interessenlagen und unüberbrückbarer Konflikte kam es 1919 zur Gründung eines weiteren Kunstvereins, der zwei Jahre später den Namen "Wirtschaftliche Vereinigung für Kunst und Kunstgewerbe in Salzburg" erhielt. Den Vorstand des Vereins bildeten u.a. der akad. Maler Karl Reisenbichler und die akad. Malerin Emma Schlangenhausen, eine aus Tirol stammende Schülerin von Kolo Moser.

 

Der Verein entfaltete rege Ausstellungstätigkeit, doch einige seiner führenden Mitglieder orientierten sich, trotz tendenziell politisch progressiver bzw. linker Gesinnung auf nationale Weise an Deutschland, insbesondere München. Reisenbichler, dessen Anschlusspostkarten und -plakate seit Jahren bekannt waren und auch Schlangenhausen stellten bei der Deutschen Gewerbeschau von April bis Oktober 1922 in München aus, die das "gesamte Deutschtum der Reiches" (Salzburger Volksblatt, 17.09.1921) umfassen sollte, inklusive Deutschösterreich.

 

1927, im Jahr des Wiener Justizpalast-Brandes, veranstaltete Reisenbichler, damals 1. Vorsitzender der Kunstvereinigung eine Sommerausstellung im Schloss Mirabell, in der u.a. Arbeiten der aus Deutschland stammenden und seit 1926 die österreichische Staatsbürgerschaft innehabenden Malerin und Emailleurin Maria Cyrenius sowie jene der Malerinnen Emma Schlangenhausen und Helene Taussig gezeigt wurden.

 

Ab etwa 1928 findet man die Namen Cyrenius, Schlangenhausen, Reisenbichler, Wojtek, Kern und Kaufmann regelmäßig in Salzburger Ausstellungen, jenen von Helene Taussig kaum mehr. Wurde sie immer mehr an den Rand gedrängt, je stärker sich die nationale Schlagseite in der Gesellschaft bemerkbar machte? So, als wäre es nicht mehr opportun gewesen, sich mit ihr zu verbinden? Sowohl in einer 1930 in der Neuen Hofburg in Wien stattfindenden Ausstellung von "moderner Frauenkunst" als auch in einer Ausstellung in Bern 1931, zum Thema "österreichische Kunst aus Salzburg" findet man etliche der genannten KünstlerInnen, den Namen Taussig sucht man in den Teilnehmerlisten jedoch vergebens. Ebenso fehlt im Jahre 1937 ihr Name in einer Gruppenausstellung Salzburger Künstler im Palmenhaus der Wiener Hofburg.

 

 

Kreutzberg: Bewegungsstudien

 

Helene Taussig widmete sich 1933 Akt- und Bewegungsstudien, darunter jenen, die den international renommierten Tänzer des expressionistischen "neuen deutschen Ausdruckstanzes" Harald Kreutzberg (1902-1968) abbilden. Kreutzberg hatte 1932 für die Internationale Stiftung Mozarteum im Rahmen von Musikkursen die Tanzklasse übernommen. Der Tänzer wurde im Laufe der 1930er Jahre zu einem der erfolgreichsten Künstler der NS-Zeit. In Wien wurde er 1941 zum Leiter der Staatlichen Akademie für Tanzkunst ernannt. Taussig beobachtete und zeichnete ihn während seines Unterrichts an der Salzburger Tanzklasse. Ihre Zeichnungen bewegter Körper wurden 1933 immerhin in den Räumen des Salzburger Mozarteums ausgestellt.

"Der Tänzer Harald Kreutzberg. Bewegungsstudien", Zeichnungen von Helene Taussig; unvollständig erhaltener Ausstellungskatalog, Hrsg.: Salzburg Mozarteum Academy, Kunstverlag Würthle & Sohn Nachf., Wien 1933
"Der Tänzer Harald Kreutzberg. Bewegungsstudien", Zeichnungen von Helene Taussig; unvollständig erhaltener Ausstellungskatalog, Hrsg.: Salzburg Mozarteum Academy, Kunstverlag Würthle & Sohn Nachf., Wien 1933

Nicht nur Harald Kreutzberg, auch viele der weitaus weniger renommierten Künstlerinnen und Künstler konnten während der NS-Zeit ihre Karrieren völlig ungehindert fortsetzten: Wojtek, Kaufmann, Reisenbichler, Schlangenhausen, warum hatten sie und viele andere nichts zu befürchten? Keiner diese Künstler steht im Verdacht, jemals ein NS-Verbrecher gewesen zu sein. Viele von ihnen waren "nur" künstlerische Karriere-Opportunisten während der NS-Diktatur. Mitläufer, wie Millionen andere Menschen, die durch ihre Angepasstheit dazu beitrugen, dass die Gesellschaft letztlich eine NS-Elite wüten ließ. Nicht jeder Mensch eignet sich zum Widerstandskämpfer, doch jeder Mensch hatte die Möglichkeit, sich bis zu einem gewissen Grad für oder gegen ein Unrechtsregime zu verhalten.

 

 

Karriereknick, Arisierung, Deportation, Tod

 

Bemerkenswert war, dass manche Künstler auf die "falschen" Fraktionen innerhalb der Salzburger NSDAP gesetzt hatten. Als etwa die Karriere des "NS-Kunsträubers" Kajetan (Kai) Mühlmann ob der Zerwürfnisse mit dem NS-Establishment zu Ende ging, rissen auch die Karrieren von Wojtek und anderen KünstlerInnen ab. Dies wiederum verwendeten etliche der Betroffenen dazu, um sich nach Kriegsende als künstlerische Opfer der NS-Zeit zu stilisieren.

 

Die sogenannte "Arisierung" der Atelier-Villa Helene Taussigs in Anif erfolgte per "Kaufvertrag" vom 1. Oktober 1941. Gemäß dieses "Vertrags" erwarb Hofrat Ing. Josef Wojtek, der Vater der Helene Taussig persönlich bekannten Künstler-Kollegin Poldi Wojtek, für einen Betrag von 17.100 Reichsmark das Haus. Der SS-Offizier Kajetan Mühlmann, mit Leopoldine "Poldi" Wojtek, der Tochter von Josef Wojtek von 1932-1941 verheiratet, zahlte in diesem Zusammenhang einen Teilbetrag von 15.000 Reichsmark auf das Namenskonto "Entjudungserlös Helene Taussig" bei der Landeshypothekenanstalt in Salzburg ein.

 

Helene Taussig wurde währenddessen in Wien aus dem Altersheim des Klosters der Karmelitinnen, am 9. April 1942, in das Transit-Ghetto Izbica deportiert. Mit der entindividualisierenden Transportnummer 942 und in demselben Transport Nr. 17, mit dem u.a. auch Robert Gerngross, einer der drei Söhne des Gründers und Vorsitzender der Aktiengesellschaft des gleichnamigen Wiener Kaufhauses sowie dessen Frau Frida deportiert und später ermordet wurden:

Quelle: Yad Vashem, World Holocaust Remembrance Center
Quelle: Yad Vashem, World Holocaust Remembrance Center

Helene Taussig wurde vermutlich noch vor dem 21. April 1942 in einem der NS-Vernichtungslager Belzec, Sobibor oder Majdanek ermordet.

 

Nur wenige Monate später zeigte sich Hofrat Wojtek von seiner großzügigen Seite und schenkte seiner Tochter Poldi – der Grafikerin und Gestalterin des Plakates und bis heute offiziellen "Logos" der Salzburger Festspiele – per Schenkungsvertrag vom 8. Feb. 1943, die moderne Atelier-Villa von Helene Taussig.

"Taussig, Nr. 15", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Taussig, Nr. 15", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Kulturbetriebliche Ungereimtheiten?

 

Der Maler Wilhelm Kaufmann übergab 1988 dem Salzburg Museum insg. 19 Öl-Gemälde von Helene Taussig. Angeblich hatte er diese im Salzburger Künstlerhaus "zufällig gefunden". Angeblich hatte Helene Taussig ihm diese Bilder jedoch – angesichts des drohenden Verlustes Ihrer Villa – im letzten Moment persönlich zur Verwahrung übergeben. Angeblich fand man im Atelier von Wilhelm Kaufmann nach dessen Tod noch weitere ungerahmte Öl-Gemälde von Helene Taussig ...

 

Einige dieser und ähnlicher Ungereimtheiten bzw. Widersprüche blieben bis heute bestehen. Etwa jene des angeblichen Rückzugs, der "inneren Emigration" des Malers Wilhelm Kaufmann, der während der NS-Zeit jedoch ungehindert weiter ausstellte, während andere Künstler mit Malverboten belegt waren. Der "Rückzug" verliert zudem an Glaubwürdigkeit, bedenkt man, dass Kaufmann mehrfach in der arisierten und vom Salzburger Galeristen und NSDAP-Mitglied Friedrich Welz, zwischen 1938 und 1945, geführten Wiener Galerie Würthle (diese wurde erst 1949 restituiert) ausgestellt wurde.