Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Dicker-Brandeis-Behrens-Platz"

Intervention 01. - 31. Januar 2022

Friedl Dicker-Brandeis

 

Friedl Dicker (* 30. Juli 1898 in Wien; † 9. Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz) war eine österreichische Malerin, Innenarchitektin, Designerin und Bühnenbildnerin. Aus jüdischem Elternhaus stammend, studierte Friedl Dicker zunächst Grafik in Wien, später am Bauhaus in Weimar und war als Grafikerin und Innenarchitektin erfolgreich tätig.

 

1931 wurde sie in der sog. Passfälscher-Affäre verhaftet, etwa zwei Jahre später emigrierte nach Prag, wo sie 1936 Pavel Brandeis ehelichte und die tschechische Staatsbürgerschaft annahm. 1938 zog sie mit ihrem Mann nach Hronov, nordöst-lich von Prag. Das Ehepaar wurde verhaftet und am 17. Dez. 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Mit einem der letzten Transporte von Theresienstadt nach Auschwitz wurde Friedl Dicker-Brandeis am 6. Okt. 1944 in das Vernich-tungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort kurz nach ihrer Ankunft,

am 9. Oktober 1944, ermordet.

"Schrei 13:27 Uhr", 2016, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Schrei 13:27 Uhr", 2016, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Friedl Dicker

 

studierte an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien und später als eine der erfolgreichsten Studentinnen am frühen Bauhaus in Weimar, bei Johannes Itten. Walter Gropius, Oskar Schlemmer und Paul Klee zählten zu ihrem Bekanntenkreis.

 

Zunächst als Bühnenbildnerin für Theater in Berlin und Dresden tätig, betrieb sie danach in Wien gemeinsam mit Franz Singer ein Architekturatelier. Neben zahlreichen Bauaufgaben war sie u.a. für die Innenausstattung des Montessori-Kindergartens im Goethehof in Wien-Donaustadt verantwortlich.

 

Der Kindergarten im Goethehof war ein Vorzeigekindergarten des sog. "Roten Wien" der 1930er Jahre, im Wiener Bezirk Donaustadt. In den Februarkämpfen 1934 war der Goethehof heftig umkämpft und geriet als eine der letzten Bastionen des Republikanischen Schutzbundes unter starken Beschuss.

 

Nur ein Jahrzehnt später, nach ihrer Verhaftung und Deportation in das Ghetto Theresienstadt, am 17. Dez. 1942, organisierte Friedl Dicker-Brandeis unter schwierigsten Bedingungen im KZ-Theresienstadt Zeichenkurse für Kinder.

 

Zahlreiche dieser Kinderzeichnungen sind erhalten geblieben. Friedl Dicker-Brandeis ermutigte die Kinder, ihre Namen in die Zeichnungen einzufügen und stärkte damit deren Identität und Selbstwertgefühl – keine einzige Zeichnung ist demzufolge mit der Lagernummer eines Kindes signiert.

1920 gestaltete Friedl Dicker das Plakat für einen Leseabend der Lyrikerin und Dramatikerin Else Lasker-Schüler, im „frühen Bauhaus“ zu Weimar, am 14. April 1920. (Originalplakat, handschriftl. Signatur: "F. Dicker")

Friedl Dicker Plakat für Else Lasker-Schüler, 1920
I. Bauhaus-Abend, Lesung Else Lasker-Schüler, Weimar, 14. April 1920

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© mit freundlicher Genehmigung der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Wuppertal

 

Peter Behrens

 

Peter Behrens (1868-1940) war ein deutscher Architekt und Pionier des modernen Industriedesigns. Er war Mitbegründer der Münchner Sezession (1892) sowie des Deutschen Werkbundes (1907). Er führte ein erfolgreiches Architekturbüro, in dem u.a. Mies van der Rohe, Le Corbusier und Walter Gropius tätig waren. Ab 1922 übernahm er als Nachfolger Otto Wagners die Leitung der Meisterklasse für Architektur und leitete auch die Architektur-abteilung an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

 

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war er als Industriearchitekt für Unternehmen wie die AEG tätig; später für die Farbwerke Höchst AG, die Mannesmann AG und zahlreiche andere Unternehmen. Neben Maschinenbaufabriken und deren Verwaltungsgebäuden entwarf er auch Wohnhäuser, Teile von Museen und Akademien. Die bedeutendste Arbeit von Peter Behrens in Österreich ist das Fabriksgebäude der Austria Tabakwerke in Linz (errichtet 1929-1935), ein Gemeinschaftsbauwerk mit seinem ehemaligen Schüler Alexander Popp.

 

Bereits 1934, kurz nach der NS-Machtergreifung arbeitete Peter Behrens im Zuge der Neugestaltung Berlins mit dem NS-Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, Albert Speer, zusammen. 1936 übernahm er zudem die Meisterklasse für Architektur an der Preußischen Akademie der bildenden Künste in Berlin.

Snippet: Brief von Peter Behrens an die Preuss. Akademie v. 24.06.1938, gezeichnet "Heil Hitler!  Behrens".
Snippet: Brief von Peter Behrens an die Preuss. Akademie v. 24.06.1938, gezeichnet "Heil Hitler! Behrens".

Alexander Popp

 

Alexander Popp (1891-1947), ehemaliger Schüler und Assistent von Peter Behrens und seit 1935 illegales NSDAP-Mitglied, entwarf und baute nach dem Anschluss Österreichs zahlreiche Wohn- und Industriebauten in Linz, im Volksmund "Hitler-Bauten" genannt. Unter anderem die Industriehallen für die 1938 gegründeten Hermann Göring-Werke ("Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten »Hermann Göring« Linz", im Juli 1945 in VÖEST, "Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG" umbenannt).

 

Popp übernahm von 1938 bis 1940 gemeinsam mit den Malern Ferdinand Andri (NSDAP-Mitglied seit 1938) und Wilhelm Dachauer (NSDAP-Mitglied seit 1940) die kommissarische Leitung der Wiener Akademie der bildenden Künste. Von 1941 bis zum Kriegsende war Alexander Popp Rektor der Akademie.

 

 

Peter-Behrens-Platz in Linz

 

In der von Behrens und Popp "gebauten" Tabakfabrik Linz befinden sich heute unter anderem ein vom Lentos Kunstmuseum erworbenes Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst sowie zwei weitere Abteilungen der Kunst-universität Linz, alle mit Adresse Peter-Behrens-Platz.

 

Schon allein aufgrund dieses künstlerisch-wissenschaftlichen Naheverhältnisses der heutigen Tabakfabrik Linz könnte der Peter-Behrens-Platz umbenannt oder namentlich erweitert werden: etwa nach einem weiblichen Opfer der NS-Diktatur, nämlich in Friedl-Dicker-Brandeis-Platz.

Oder, wenn man auch im 21. Jahrhundert immer noch an Peter Behrens, einem "NS-Karriereopportunisten", als Namensgeber festhalten möchte, beispielsweise in Dicker-Behrens-Platz.

Die Covergestaltung (Schutzumschlag in limitierter Auflage) des 1936 erschienenen Buches "Die neue Tabakfabrik Linz" stammt von der einschlägig bekannten Grafikerin Poldi Wojtek (Leopoldine Wojtek-Mühlmann); u.a. Gestalterin eines NS-Gobelins bzw. Illustratorin eines Kinder-buches der Lebensgeschichte Adolf Hitlers.

 

 

Die Gesamtredaktion des Buches über-nahm der Ehemann Poldi Wojteks, der Kunsthistoriker, spätere SS-Offizier und

NS-Kunsträuber Kai (Kajetan) Mühlmann.

 

 

Behrens, P. & Popp, A: "Die neue Tabakfabrik Linz. Die Neubauten und Betriebseinrichtungen der Tabakfabrik in Linz", Salzburg 1936, Verlagshaus Kiesel

 

Peter Behrens‘ architektonisches Gesamtwerk soll inhaltlich nicht geschmälert werden. Doch Ehrungen, die von Kommunen ausgesprochen werden, seien es Ehrenbürgerschaften, Verdienstorden oder Benennungen von Straßen und Plätzen, meinen niemals nur isolierte Einzelleistungen auf bestimmten Gebieten, sondern stets den gesamten Menschen. Das Lebenswerk, die Lebensleistung und vor allem die Lebenshaltung. Und mit dieser auch das zu der jeweiligen Haltung führende Denken und Handeln. Sie meinen den Menschen als Vorbild für spätere Generationen. Demgemäß zählt die gängige Praxis von Straßenbenen-nungen zu den hinterfragenswerten Arten kommunaler Ehrungen.