Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

When War Returns XXIV:

"Hagelberg revisited"

Ausstellung 01. - 31. Januar 2024

 

Konstanze Sailer

 

Tusche auf Papier

 

 

 

Galerie Artroom

Lilli-Hagelberg-Gasse 43

1220 Wien

 

Lilli Hagelberg (* 25. April 1895 in Wien; † nach dem 13. März 1943 im NS-Vernich-tungslager Auschwitz), war eine österreichische Kunsthistorikerin, ev.-luth. mit jüdischen Wurzeln. Sie wuchs in Wien auf, studierte u.a. in Berlin, München, Freiburg und Heidelberg und dissertierte 1922 in Frankfurt. Danach lebte sie vorwiegend in München, wo sie publizierte und unterrichtete. Zu ihren wissenschaftlichen Arbeiten zählten u.a. Abhandlungen zu Heinrich von Kleist und Hugo von Hofmannsthal. Lilli (auch Lilly bzw. Lili) Hagelberg wurde in München verhaftet und ab dem 15. April 1942 im Internierungs- lager in der Clemens-August-Straße festgesetzt. Sie wurde am 13. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich kurz nach ihrer Ankunft ermordet. 1947 erklärte das Amtsgericht München II Lilli Hagelberg offiziell für tot. Als "amtlicher Zeitpunkt des Todes" wurde der 31.12.1943 angegeben.

 

Bis zum heutigen Tag existiert in Wien keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Richard Seefelder in Wien Donaustadt, seit 1955, immer noch eine Gasse benannt. Der in Bayern geborene Seefelder war Arzt und Professor für Augenheilkunde in Leipzig und ab 1919 in Innsbruck, wo er in den 1920er Jahren zunächst Dekan und danach, ab 1929, auch Rektor der Universität Innsbruck war. Er trat im Mai 1933 in Innsbruck der damals illegalen NSDAP und im März 1938 der SS bei. 1939 wurde er SS-Untersturmführer. Als Mitglied des Nationalsozialis-tischen Deutschen Ärztebundes wurde er Oberstabsarzt und ab 1943 Oberstarzt der NS-Wehrmacht.

 

Anstelle von Richard Seefelder, der zudem keinen nennenswerten Wien-Bezug aufweist, könnte die – seit nahezu sieben Jahrzehnten – in Wien Donaustadt nach ihm benannte Gasse umbenannt werden. Anstelle von Seefelder könnte in Wien Donaustadt an ein weibliches NS-Opfer wie etwa Lilli Hagelberg erinnert werden.

"Schrei 09:11 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 09:11 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 

 

 

 

Immer ist die Antike

ein Spiegel gewesen, in dem jede Zeit ihr Wesen schauen konnte.

 

(Lilli Hagelberg, „Hofmannsthal und die Antike“, Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 17/1, 1922)

 

 

 

 

"Schrei 09:01 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 09:01 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Hofmannsthalschen Antike

 

gegenüber, die, durch und durch impressionistisch, ein chaotisches Wallen und Fließen von Schemen war, ist hier in diesen so extremen Dichtern  [Anm.: gemeint sind Franz Werfel und Stefan George]  ein wesentlich Gemeinsames: ….

 

 

 

 

"Aufschrei 10:08 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 10:08 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

  

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

die von beiden geschaute Antike ist eine gefügte Welt, eine stehende, gefügte Welt mit Bau, Satzung und Ordnung.

(Lilli Hagelberg, ebda., 1922)

 

 

 

 

"Aufschrei 10:22 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 10:22 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lilli Hagelberg hat in einem sehr

 

feinen Aufsatz dargetan, wie Hof-mannsthal, wenn er Griechisches umdichtet oder nachdichtet, im Grunde nur immer wieder löst, was der Grieche band,

 

 

  

 

"Aufschrei 11:23 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Aufschrei 11:23 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

wie Hofmannsthal die Gestalten

in eben den Urzustand wieder zurücktaucht, aus dem an ihnen emporzutauchen der Grieche sie sich schuf …“

 

(Hermann Bahr, Neues Wiener  Journal, 23.09.1923)

 

 

 

 

"Schrei 12:56 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 12:56 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Kulturkontrast dazu

 

sei Richard Seefelder zitiert, der 1929, als Rektor der Universität Innsbruck und späteres NSDAP-und SS-Mitglied eine Rede anlässlich des sogenannten Antrittskommers des Waffenrings hielt.

 

 

 

   

"Schrei 13:32 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Schrei 13:32 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

Dort gab er

 

der nationalen und der katholischen Studentenkompanie den Leitspruch mit: „Getrennt marschieren, vereint schlagen!

(Burschenschaftliche Blätter 44, 1929/30)

 

 

 

  

"Endloser Schrei 15:47 Uhr", 2017, 48 x 36cm
"Endloser Schrei 15:47 Uhr", 2017, 48 x 36cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Aufschreie

 

und angedeuteten Kiefer in den Tuschen von Konstanze Sailer sind in das Bild gesetzte sprachliche Zeichen. Einer phonematischen Orthografie des Grauens gleich ordnen sie zu: Kiefer zu Aufschrei, Schriftzeichen zu Todesphonem des je eigenen Sterbens.