Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Seidel, Miegel ... Weil?"

01. - 31. Juli 2020

Ina Seidel und Agnes Miegel

 

Es zählt zu den Vermächtnissen des Zweiten Weltkrieges, dass einige Menschen während der NS-Diktatur besonders rasch Karriere machten. Quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten, von Beamten über Wirtschaftstreibende bis hin zu Wissenschaftlern erstreckt sich das weite Feld deutscher und österreichischer Karriereopportunisten von damals. Und nach wie vor existieren zahlreiche Straßen, die auch heute noch nach eben jenen Menschen benannt sind, die teils prächtige Karrieren während der NS-Zeit machten.

 

Besonders schwer wiegen die künstlerischen Karriereopportunisten, die in ihrem Kunstschaffen damals wie heute in hohem Maße der Wahrhaftigkeit und Haltung verpflichtet waren und sind. Zu diesen Karriereopportunisten zählt beispielsweise auch die in Königsberg geborene Schriftstellerin und Balladendichterin Agnes Miegel. Sie unterzeichnete mit 87 weiteren SchriftstellerInnen 1933 das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, war Mitglied der NS-Frauenschaft, nahm Einladungen und Ehrungen der Hitlerjugend an und wurde 1940 NSDAP-Mitglied.

 

Agnes Miegel ließ sich als Dichterin über ein Jahrzehnt hindurch vom NS-Regime instrumentalisieren. Substanzielle Distanzierungen vom Nationalsozialismus finden sich bei ihr auch nach 1945 – abgesehen von allgemeinen Floskeln wie etwa „Unrast und Not dieser Zeit“ – keine. Miegel wurde 1944 von Hitler nicht nur auf die sogenannte Gottbegnadetenliste gesetzt, sondern innerhalb dieser auf die Sonderliste der unersetzlichen Künstler.

 

Ähnliches gilt für die Schriftstellerin und Lyrikerin Ina Seidel. Zu Hitlers 50. Geburtstag 1939 schrieb Seidel das Gedicht „Lichtdom“. Darin heißt es:

 

In Gold und Scharlach, feierlich mit Schweigen,

ziehn die Standarten vor dem Führer auf.

Wer will das Haupt nicht überwältigt neigen?

 

Nach beiden Dichterinnen sind Straßen und Wege in über drei Dutzend Städten und Orten Deutschlands benannt, unter anderem in Stuttgart. Im Kontrast zu den KarrieristInnen wären jedoch zuerst die Opfer der NS-Diktatur zu bedenken.

 

Niemand will, dass Seidel oder Miegel aus Geschichtsbüchern getilgt werden; das wäre absurd und käme einer Geschichtsglättung nahe. Doch Ehrungen, die von Kommunen ausgesprochen werden, seien es Ehrenbürgerschaften, Verdienstorden oder Straßenbenennungen, meinen nie bloß isolierte Einzelleistungen, sondern stets den gesamten Menschen. Das Lebenswerk, die Lebensleistung und vor allem die Lebenshaltung; und mit dieser auch das zu dieser Haltung führende Denken und Handeln. Sie meinen den Menschen als Vorbild für spätere Generationen.

Memorial für Eva Doris Weil

 

Anstelle von Ina Seidel und Agnes Miegel könnte künftig in der Region Stuttgart, etwa in Ludwigsburg, durch eine Straßenumbenennung an Eva Doris Weil erinnert werden.

 

Eva Doris Karoline Weil, * 09. Feb. 1932 in Stuttgart, † 23. Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz, war die Tochter von Berthold Weil und Minna Weil (geb. Laemmle).

"Eva Doris Weil, Memorial 03", 2020, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Eva Doris Weil, Memorial 03", 2020, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Aus baden-württembergischer jüdischer Familie stammend, lebte Eva Doris Weil in Stuttgart und Ludwigsburg und flüchtete mit ihren Eltern über Italien vor den Nazis. Ihr Vater wurde jedoch von den italienischen Faschisten verhaftet und im Konzentrationslager Civitella del Tronto inhaftiert. Auf diese Weise in Italien "gestrandet", versuchte ihre Mutter Unterstützung in den jüdischen Hilfsorganisationen von Mailand zu finden. Sie wandte sich u.a. an die sog. „Mensa die Bambini“.

 

Die sogenannten „Kindermensa“ die „Mensa dei bambini”, befand sich in der Via Guicciardini Nr. 10 und war eine 1939 gegründete private Hilfseinrichtung für Kinder jüdischer Flüchtlinge. Der Gründer der Mensa war Israel Kalk, ein aus Litauen stammender jüdischer Ingenieur, der mit einer Italienerin verheiratet war. Die Kinder flüchtender Juden kamen vorwiegend aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Sie erhielten dort Mahlzeiten, Kleidung, medizinische Unterstützung sowie Unterricht und Spielgelegenheiten. Die private Hilfseinrichtung wurde von den Faschisten beobachtet und polizeilich kontrolliert, jedoch geduldet. In ihrem Antrag auf Unterstützung gab die Mutter von Eva Doris Weil im März 1943 an, die Familie sei auf der Flucht von ihrem Ehemann und Vater getrennt und dieser inhaftiert worden.

Eva Doris Weil, Aufnahme ca. 1938, vermutl. privat; ©: Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea CDEC, Archiv Nr. 283-s010-015
Eva Doris Weil, Aufnahme ca. 1938, vermutl. privat; ©: Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea CDEC, Archiv Nr. 283-s010-015

Eva Doris Weil wurde schließlich 1944, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder, im Durchgangslager Fossoli interniert. Von dort wurde sie mit dem Transport Nr. 10, am 16.05.1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurde sie, am 23. Mai 1944, im Alter von 12 Jahren, mit ihrer gesamten Familie ermordet.

 

Künftig könnte in der Region Stuttgart durch eine Straßenumbenennung an Eva Doris Weil erinnert werden.