Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

When War Returns XXX:

"Antonia H.: »Grüne Winkel« revisited"

Intervention 01. - 31. Juli 2024

 Immer wieder, immer wieder ... Richard Billinger

Nach Richard Billinger (1890-1965) sind heute noch in Schärding, Braunau und Linz sowie mehreren weiteren oberösterreichischen und süddeutschen Orten Straßen und Wege benannt. In Billingers Geburtsort St. Marienkirchen trägt sogar eine Volksschule seinen Namen. Billinger war Schriftsteller, der in seinen Werken u.a. bäuerliche Lebensweisen, ländliche Idyllen und Heimatdiskurse idealisierte und nur zum Teil deren lebensweltliche Abgründe durchklingen ließ. Er fürchtete als homosexueller Künstler zwar selbst die NS-Verfolgung, u.a. war er in München 1935 angeklagt worden, verstand es aber dennoch, sich als NS-Mitläufer ab 1933 überaus erfolgreich zwischen Wien, Salzburg, München und Berlin als Dichter, Dramatiker und Drehbuchautor, u.a. war er auch für Veit Harlan, Leni Riefenstahl und Luis Trenker tätig, zu etablieren.

 

Vor genau 96 Jahren berichtete die Illustrierte Kronen-Zeitung von den Salzbur-ger Festspielen und der Uraufführung von Billingers "Das Perchtenspiel":

"Richard Billinger, der vielleicht vorläufig mehr seinen Salzburger Protektoren*, als seiner zweifellosen Begabung die Ehre einer Festspielaufführung verdankte ..."

(Illustrierte Kronen-Zeitung, 26. Juli 1928)

 

         *mit "Salzburger Protektoren" sind die Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal und Max Mell gemeint, letzterer stand mit dem NS-Regime in bestem Einvernehmen.

 

Anstelle von Richard Billinger der während der NS-Diktatur mir zahlreichen Auftragswerken, Preisen und Ehrungen* bedacht wurde und sich bereitwillig und auf opportunistische Weise von der NS-Propaganda vereinnahmen ließ, könnte zumindest in einer der Gemeinden Oberösterreichs an weibliche NS-Opfer, etwa aus der NS-Opfergruppe der sog. "Grünen Winkel" erinnert werden.

 

             *Memory Gaps freut sich, dass nach den Richard Billinger betreffenden

Interventionen ab 2016, die Gedenktafel in 1060 Wien, Münzwardein-

gasse 2 / Hofmühlgasse 14, wo er von 1923 bis 1932 lebte, nach

einer Fassadenrenovierung 2021 nicht mehr angebracht wurde.

"Aufschrei 10:17 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Aufschrei 10:17 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

 Antonia H., oder das katastrophale Stigma der "Grünen Winkel"

Exemplarisch für die "Grünen Winkel" steht Antonia Hamedinger (* 11. Juni 1897 in Tyczyn, Polen; † vermutlich Ende 1942 im KZ-Ravensbrück oder im Vernich- tungslager Auschwitz), die 1913 nach Wien kam, um die Handelsschule zu besuchen. Ihre Familie wurde im Ersten Weltkrieg getötet, Antonia verließ als jüdischer Flüchtling Wien und zog nach Oberösterreich, wo sie nach dem Tod ihres Ehemannes 1933 als Alleinerzieherin mit zwei Kindern als Köchin, Haushälterin und Ziegeleiarbeiterin lebte.

Im oberösterreichischen Ort Weibern wohnhaft, wurde sie 1941 unter dem nicht verifizierten Vorwand der Beihilfe zur Abtreibung in „Schutzhaft“ genommen, und als „Befristeter Vorbeugehäftling“ in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Ihre Registrierung am 11. Sept. 1942 unter der Häftlingsnummer 13931 ist der nach gegenwärtigem Stand der Häftlingsdokumentation letzte Eintrag. Vermutungen legen nahe, dass Antonia Hamedinger Ende 1942 entweder noch im KZ-Ravensbrück oder im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde.

 

Bis zum heutigen Tag existiert in Oberösterreich keine Straße, die ihren Namen trägt.

 

Memory Gaps freut sich, dass seit den medial begleiteten Interventionen 2016 und 2019, zumindest im Ort Weibern 2022 Gedenkveranstaltungen stattfanden.

"Schrei 13:16 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Schrei 13:16 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Vordergründig betrachtet, wurden in Konzentrationslagern nur sogenannte „Berufsverbrecher“ mit „grünen Winkeln“, den Stoffdreiecken auf ihrer Häftlingskleidung gekennzeichnet. Die „Grünen Winkel“ stellen jedoch die widersprüchlichste und inhomogenste Kategorie innerhalb der verschiedenen Gruppen von KZ-Häftlingen dar.

 

Zusätzlich zu tatsächlichen Kriminellen konnten unter dem perfiden Vorwand der „Kriminalitätsvorbeugung“ wahllos Menschen deportiert und mit grünen Winkeln stigmatisiert werden. Einige der sogenannten „Grünwinkler“, zumeist ehemalige Straftäter, kooperierten mit der SS und den Wachmannschaften und wurden von diesen als „verlängerter Arm“, als brutale und rücksichtslose Lageraufseher eingesetzt bzw. missbraucht.

 

In der KZ-Häftlingskategorie „Grüne Winkel“ wurde nicht zwischen verurteilten Mördern und denunzierten Heiratsschwindlern, zwischen Schwerverbrechern und harmlosen Dieben oder Landstreichern differenziert. Mehrheitlich waren die Träger der grünen Winkel demgemäß Verfolgte und somit zweifellos Opfer der NS-Diktatur.

 

Das Stigma der grünen Winkel haftete vielen der Überlebenden auch nach dem Krieg wie ein Generalverdacht des Berufsverbrechertums an, vielfach auch jenen, die sich nachweislich im KZ dem Widerstand angeschlossen hatten.

"Aufschrei 18:27 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer
"Aufschrei 18:27 Uhr", 2015, 48 x 36cm, ©: Konstanze Sailer

Die Aufschreie aus dem Papierwerk

 

der Malerin Konstanze Sailer repräsentieren Momente der Verwundung und des Todes. Aufschreie sind jäh unterbrochene Sprache, wie abschiedsloses Sterben. Die zum Schrei geöffneten Kiefer sind in das Bild gesetzte sprachliche Zeichen. Jeder der Kiefer repräsentiert den Tod eines Menschen, ein Ereignis, ungleich jedem anderen.