Aus Anlass der sich zum 80. Mal jährenden NS-Novemberpogrome 1938 in Deutschland und Österreich (7.-13. Nov.) und im Blick auf das nahende Jubiläum 100 Jahre Republik Österreich (12. Nov.), sollte in diesem Kontext nicht auf eine "Wiener Erinnerungslücke" vergessen werden:
Memory Gaps schlägt im Gedenkjahr 2018 vor, den sog. "Hitler-Balkon", der 1938 aus Anlass der Propagandaveranstaltung am 09. April, für Hitler und Goebbels zunächst aus Holz, einige Monate später auch aus Stein errichtet wurde, von der Fassade des Wiener Rathauses zu entfernen.
1938 erfolgte die Umbenennung des Rathausplatzes in Adolf Hitler Platz, wie das Schild an der Front des Wiener Rathauses zeigt. 1945 erhielt der Rathausplatz seinen ursprünglichen Namen zurück:
Im Morgengrauen des 12. März 1938 marschierten NS-Truppen in Österreich ein. Nur einen Tag später, während des sich vollziehenden Anschlusses, veröffentlicht die Wiener "Rathaus-Korrespondenz", eine an Hitler gesendete Depesche der NS-Stadtführung:
"In dieser erhebenden Stunde deutscher Schicksalsverbundenheit grüßen wir Sie, unseren geliebten Führer, aus übervollen,
dankbaren Herzen. Zur immerwährenden Erinnerung an diesen Tag und um dem Geiste, der nunmehr die Stadt Wien beseelt, sichtbaren Ausdruck zu verleihen, hat die neue nationalsozialistische Führung
der zweitgrößten deutschen Stadt dem Platz vor dem gotischen [sic] Rathaus den Namen
»Adolf-Hitler-Platz«
gegeben. Diesen Beschluss bitten wir als ersten Treuegruß unserer Stadt entgegennehmen zu wollen. Heil Hitler!" (Neue Freie Presse, 13.03.1938, S. 8)
Der eigens für die Propagandaveranstaltung am 9. April 1938, dem Tag vor der sog. "Heiligen Wahl" (Neue Freie Presse, 10.04.1938, S. 1), der "Volksabstimmung über die
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich", errichtete provisorische Holz-Balkon wurde in den Monaten nach der Kundgebung in Stein ausgeführt, d. h. nach-gebaut und an die
Fassade des Rathauses "angefügt". Dort befindet er sich noch heute, als brachialer Eingriff in die Formensprache Friedrich Schmidts, eines renommierten Architekten der Ringstraßenzeit (Errichtung
des Wiener Rathauses: 1872-83).
Am 9. April 1938, um 12:00 Uhr, proklamiert Goebbels von ebendiesem provisorischen Holzbalkon des Wiener Rathauses aus den sog. "Tag des Großdeutschen Reiches":
RÜCKBAU DES "HITLER-BALKONS"
Memory Gaps schlägt im Gedenkjahr 2018 vor, den sog. "Hitler-Balkon", der 1938 aus Anlass der Propagandaveranstaltung am 09. April, für
Hitler und Goebbels zunächst aus Holz, einige Monate später auch aus Stein errichtet wurde, von der Fassade des Wiener Rathauses zu entfernen und damit den ursprünglichen
Bauzustand wieder herzustellen.
Rückfragen von Memory Gaps bei auf Altbau-Renovierungen spezialisierten Bauunternehmen ergaben mehrere Grobschätzungen der Gesamtkosten für die Wiederherstellung der ursprünglichen Fassade von Friedrich Schmidt.
Der Abbruch des Steinbalkons und die Rekonstruktion bzw. Restauration des betreffenden Fassadenteiles läge, mehreren unverbindlichen Schätzungen zufolge, deutlich unter Gesamtkosten von insg. € 100.000,- und könnte bautechnisch sogar noch im laufenden Gedenkjahr 2018 ausgeführt werden.
Eine Wiederherstellung der Originalfassade von 1883 wäre nicht nur architektonisch wünschenswert, sondern hätte auch doppelten
historisch-kulturpolitischen Symbolwert: eine Entfernung des sog. "Hitler-Balkons" erscheint sowohl anlässlich des Gedenkens der Gründung der Republik Österreich vor 100 Jahren, im
November 1918, als auch aufgrund des sich zum 80. Mal jährenden Anschlusses von 1938 durchaus angemessen.
Dies ist der Kommentar der digitalen Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken.
Ideen für das Gedenkjahr
2018
Konzept für eine Installation in der Turmloggia des Wiener Rathauses 2018/19, nach der Entfernung des "Hitler-Balkons", zum Gedenken an die während der NS-Zeit getöteten Mitglieder des Wiener Gemeinderates sowie an die zu Tode gekommenen Rathaus- bzw. städtischen Beamten.
Zusätzlich könnte am 12. November 2018, dem 100. Jahrestag
der Gründung der Republik Österreich, eine aktuelle oder historische Friedensrede, wie etwa jene des – später durchaus problematischen – Staatskanzlers Karl Renner, vom 12. November
1918, als versöhnende und letzte "Inbetriebnahme" des Balkons, von dieser "Rathaus-Kanzel" aus gelesen werden. (Auch dieser Termin
ging unge-nutzt vorüber.)
Beispielfoto Installation/Projektion © 2017 Memory Gaps ::: Erinnerungslücken
Gedenkinstallation / Rückprojektion in der Turmloggia des Wiener Rathauses
Personen: Sigmund Rausnitz, Otto Felix Kanitz, Therese Ammon, Aladar Bekes, Julius Bermann, Robert Danneberg, Edmund Reismann u. a.; Projektionsdauer ca. 1-2 Min. pro Person, hochauflösende Grafiken mit Namen & Sterbedaten/Sterbeorten (Beispielfoto s.o.).
Projektion Herbst/Winter: tägl. ab ca. 17:00/18:00 Uhr bis 24:00 Uhr
Projektion Frühjahr/Sommer: tägl. ab ca. 19:00/20:00 Uhr bis 24:00 Uhr
Zum ersten Teil der Intervention
"Hitler-Balkon", Oktober 2018
Zum dritten Teil der Intervention "Hitler-Balkon", April 2019
Zum vierten Teil der Intervention "Hitler-Balkon", März 2020
Zum fünften Teil der Intervention "Hitler-Balkon", September 2020