Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

When War Returns XXII:

"Ruth Maier: Wiener Hofrochade?"

Intervention 01. - 30. November 2023

Ruth Maier

Ruth Maier (* 10. Nov. 1920 in Wien; † 1. Dez. 1942 im Vernichtungslager Auschwitz) war eine österreichische Schriftstellerin jüdischer Herkunft. In Wien geboren und aufgewachsen, flüchtete sie einige Monate nach dem erfolgten Anschluss Österreichs, im Januar 1939, zu Bekannten der Familie nach Lillestrøm, einer Kleinstadt nahe Oslo.

Doch das Diabolische sollte sie einholen, als Norwegen 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. Da ihr Visum für England abgelaufen war und nicht erneuert wurde, blieb sie in Norwegen. Ruth wurde aus dem Mädcheninternat in Oslo, in dem sie im Herbst 1942 vorübergehend lebte, verhaftet. Mit weiteren 528 Jüdinnen und Juden begann Ihre Deportation aus dem Osloer Hafen, an Bord eines Schiffes namens "Donau". Nach sechstätiger Deportationstortur kam sie im NS-Vernichtungslager Auschwitz an, wo sie unmittelbar nach der Ankunft, am Abend des 01. Dezember 1942 ermordet wurde.

 

Ruth Maier wurde vor allem durch die Veröffentlichung ihrer Tagebücher bekannt, weshalb sie auch "Anne Frank Norwegens" genannt wird. Ihre Aufzeichnungen umfassen den Zeitraum von 1933 bis 1942 und sind seit 2014 ein Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes "Memory of the World".

 

Das Elternhaus von Ruth Maier kann für die heranwachsende Ruth als literarisch animierend beschrieben werden. Recherchen der Historiker von Memory Gaps förderten zutage, dass ihr Vater Ludwig nicht, wie bis dato kolportiert, Jurist, sondern Philologe war. Maier hatte Romanische Philologie studiert und promovierte 1914 an der Universität Wien mit einer – in Handschrift verfassten – Dissertation zum Thema des zeitgenössischen französischen Romans.

 

Aus dem ehem. Mähren stammend, sprach Ludwig Maier nicht nur fließend Deutsch, Tschechisch, Englisch, Französisch und Italienisch sondern auch Griechisch und sogar Türkisch, stand er doch seit 1899 in Diensten der k.k. Post der Habsburger und war für diese auch in der Türkei tätig. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zählte er 1919 zu den Gründern der österreichischen Postgewerkschaft und war Generalsekretär der gewerkschaftlichen Post-Internationale.

"Ruth Maier, Blaugefrorener Himmel Nr. 11", 2016, Tusche, 42,0 x 29,2cm; ©: Konstanze Sailer
"Ruth Maier, Blaugefrorener Himmel Nr. 11", 2016, Tusche, 42,0 x 29,2cm; ©: Konstanze Sailer

Das erhebliche väterliche Sprachtalent, gepaart mit hohem politischem und literarischem Interesse, scheint auf seine Tochter Ruth übergegangen zu sein. Nicht nur ihr bemerkenswerter Schreibstil, auch die Tatsache, dass sie nach ihrer Flucht rasch Norwegisch lernte, in Norwegen die Schule besuchte und – wie ihrem letzten Tagebuch aus 1941/42 zu entnehmen ist – bereits in gutem Norwegisch schrieb, zeugen davon.

 

In den letzten zehn Jahren ihres jungen, viel zu kurzen Lebens führte Ruth Maier überaus regelmäßig Tagebuch. Der inhaltliche Bogen spannt von ihrem sozial engagierten, intellektuellen Elternhaus bis zu den erschütternden Erfahrungen mit dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus. Die Flucht nach Norwe- gen, der Weltkrieg und die, vornehmlich durch ihre innige Beziehung mit Gunvor Hofmo abgemilderte, unerträgliche Einsamkeit in Norwegen, zählten zu den lebensbestimmenden Einflussfaktoren für die junge, angehende Schriftstellerin.

Ruth-Maier-Hof in Wien Währing?

 

Ab 1931 lebte Ruth Maier mit ihren Eltern und ihrer Schwester Judith in einer, in den Jahren 1929-31 neu errichteten städtischen Wohnhausanlage in Währing. Die Wohnhausanlage in 1180 Wien, Gersthofer Straße 75-77, und deren Fassaden bestehen heute nach wie vor in weitgehend unverändertem Aussehen. (Link Google Maps: Ecke Gersthofer Straße/ Hockegasse)

 

Im dritten Obergeschoß befand sich die Wohnung der Familie, im darüber gelegenen Stockwerk hatte Ludwig Maier sein Büro bezogen:

Ehemaliges Büro von Ludwig Maier (4. OG) und ehemalige Wohnung von Familie Maier (3.OG). Foto ©: Memory Gaps 2023
Ehemaliges Büro von Ludwig Maier (4. OG) und ehemalige Wohnung von Familie Maier (3.OG). Foto ©: Memory Gaps 2023

Der seit 2007 (Gemeinderatsausschuss für Kultur, 2004) nach dem Wiener Kommunalpolitiker Rudolf Sigmund benannte Hof könnte, so der Vorschlag von Memory Gaps, vonseiten der Stadt Wien in Ruth-Maier-Hof umbenannt werden.

 

So könnte der umbenannte Ruth-Maier-Hof zukünftig aussehen:

So könnte der umbenannte "RUTH-MAIER-HOF" künftig aussehen. Foto ©: Memory Gaps 2023
So könnte der umbenannte "RUTH-MAIER-HOF" künftig aussehen. Foto ©: Memory Gaps 2023

Wiener "Hof-Rochade" ...

 

Rudolf-Sigmund-Hof zu Ruth-Maier-Hof ...

 

... Rosa-Albach-Retty-Hof zu Rudolf-Sigmund-Hof ?

 

Damit Rudolf Sigmund seine Ehrung nicht einfach nur "verliert", könnte die Stadt Wien beispielswiese den nach Rosa Albach-Retty benannten Hof in Döbling nach Rudolf Sigmund benennen.

 

Rosa Albach-Retty (1874-1980) war eine sehr erfolgreiche österreichische Schauspielerin, die ab 1891 an Theatern in Berlin spielte, ab 1895 am Wiener Volkstheater und ab 1903 am Burgtheater, wo sie bis 1958 engagiert blieb. Ihr Sohn war der Schauspieler Wolf Albach-Retty, ihre Enkelin die Schauspielerin Romy Schneider.

 

Ebenso wie ihr Sohn Wolf (ab 1940 NSDAP Mitglied und seit 1933 Förderndes Mitglied der SS), war auch Rosa Albach-Retty ein Förderndes Mitglied der SS. Beide Künstler wurden in die NSDAP-Gottbegnadeten-Liste aufgenommen, Rosa Albach-Retty in der Rubrik Theater, ihr Sohn Wolf in jener des Films.

 

In einer Stellungnahme zur "Volksabstimmung" vom 10.04.1938 – dem Tag nach dem bestürzend triumphalen Einzug Adolf Hitlers in Wien –, mit welcher der im März 1938 vollzogene "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich nachträglich "legitimiert" werden sollte, gab Rosa Albach-Retty in einem Interview u.a. die folgenden Sätze von sich: "Wie alle Menschen, bin ich natürlich eine begeisterte Verehrerin des Führers, aber ich darf mich überdies rühmen, ihm besonders nahe zu sein.So hatte ich das Glück, den Führer oftmals in Berchtesgaden zu sehen, und bei der Olympiade war es mir vergönnt, knapp hinter ihm zu sitzen. Wer Adolf Hitler derart nahe war, fühlt doppelt die gewaltige Macht seiner Persönlichkeit."

 

Quelle: "Volks-Zeitung (Wiener Stadt- und Vorstadt-Zeitung)", v. 10.04.1938   

 

 

... für jene einst ersehnte Zukunft

 

Die Stadt Wien und die Bezirke Währing und Döbling könnten überlegen, diese mit erheblichem, jedoch ggf. nicht unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand verbundene "Hof-Rochade" durchzuführen. Dass die überwiegende Mehrheit der gegenwärtigen Bewohnerinnen und Bewohner beider Höfe einer solchen Rochade der Hof-Benennungen ablehnend gegenüberstünde, ist nur schwer vorstellbar.

 

Damit könnte Wien einen weiteren wichtigen Akt einer symbolischen Restitution setzen, stellvertretend für jene einst ersehnte Zukunft, die Ruth Maier in dieser ihrer Stadt mitgestalten wollte.