Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Art Apologies: Karl Lueger"

Intervention 01. - 30. Juni 2021

In der Erinnerungskultur ist man gut beraten, wenn man die historische Verantwortung stets an die historisch Verantwortlichen bindet.

 

Es wäre falsch, die Verantwortung für später Eintretendes und Unvorhersehbares zu weit zurück zu projizieren. Es wäre denmach ähnlich falsch, Karl Luegers politisch-opportun-istischen Antisemitismus für den rassischen Antisemitismus und die unfassbaren Ver-brechen Adolf Hitlers verantwortlich zu machen, wie es falsch wäre, die Kapitalismus-kritik von Karl Marx für die Ermordung der russischen Zarenfamilie oder gar die Verbrechen Stalins verantwortlich zu machen. Dass jedoch eine negative Vorbild- bzw. Vorbereiterfunktion von Karl Lueger und  vielen anderen "öffentlichen Antisemiten" ausgegangen war, bleibt unbestritten.

 

Karl Lueger: Populist der ersten Stunde

 

In aller gebotenen Kürze: Karl Lueger war in erster Linie opportunistisch antisemitisch. Er hat sich aus politisch-utilitaristischer Räson an den Antisemitismus seiner Epoche im Übermaß angeglichen. Weitaus mehr, als heutige Politiker nahezu aller Couleur, die immer wieder fremdenfeindliche Stereotype bemühen, weil das bei Wahlen nützt. Lueger benutzte den Antisemitismus, ohne Rücksicht auf Verluste. Er war ein Populist des Fin de Siècle, eine höchst bedenkliche, kontroversielle christlichsoziale Kultfigur.

"Art Apologies Karl Lueger", ein Lösungsvorschlag für Wien; ©: Memory Gaps 2021
"Art Apologies Karl Lueger", ein Lösungsvorschlag für Wien; ©: Memory Gaps 2021

Seine Rhetorik war und ist abzulehnen, ebenso wie etwa die austromarxistische Kampfrhetorik von Otto Bauer oder Karl Marx‘ Schrift "Zur Judenfrage", in der es vor antisemitischen Stereotypen nur so wimmelt. Vielleicht hat Arthur Schnitzler in seiner autobiografischen Betrachtung "Jugend in Wien" Karl Lueger am treffendsten beschrieben, ohne diesen damit im Entferntesten zu entlasten: "So unbedenklich er die niedrigsten Instinkte der Menge und die allgemeine politische Atmosphäre für seine Zwecke zu nützen wusste, im Herzen war er, auch auf der Höhe seiner Popularität, sowenig Antisemit als zu der Zeit, da er im Hause des Dr. Ferdinand Mandl mit dessen Bruder Ignaz und anderen Juden Tarock spielte."

Gegen das dieser Tage quer durch Europa teils wenig durchdachte Stürzen von Denkmälern sei an einen Zeitgenossen Luegers und dessen Stellungnahme erinnert:

 

Stefan Zweig in seinem Werk "Die Welt von Gestern":

 

"Aber die ganze Vulgarisierung und Brutalisierung der heutigen Politik, der grauenhafte Rückfall unseres Jahrhunderts zeigt sich gerade im Vergleich der beiden Gestalten. Karl Lueger, mit seinem weichen, blonden Vollbart eine imposante Erscheinung – der »schöne Karl« im Wiener Volksmund genannt –, hatte akademische Bildung und war nicht vergebens in einem Zeitalter, das geistige Kultur über alles stellte, zur Schule gegangen. Er konnte populär sprechen, war vehement und witzig, aber selbst in den heftigsten Reden – oder solchen, die man zu jener Zeit als heftig empfand – überschritt er nie den Anstand.Gegen seine Gegner bewahrte er – unanfechtbar und bescheiden in seinem Privatleben – immer eine gewisse Noblesse, und sein offizieller Antisemitismus hat ihn nie gehindert, seinen früheren jüdischen Freunden wohlgesinnt und gefällig zu bleiben. Als seine Bewegung schließlich den Wiener Gemeinderat eroberte, blieb seine Stadtverwaltung tadellos gerecht und sogar vorbildlich demokratisch; die Juden, die vor diesem Triumph der antisemitischen Partei gezittert hatten, lebten ebenso gleichberechtigt und angesehen weiter. Noch war nicht das Hassgift und der Wille zu gegenseitiger restloser Vernichtung in den Blutkreislauf der Zeit gedrungen."

"Art Apologies" (© Memory Gaps):

 

Ohne das Lueger-Denkmal zu entfernen, könnte das heutige Wien Karl Lueger eine Entschuldigung oktroyieren. Diese könnte, in zahlreichen Sprachen abgefasst und mit QR-Codes zwecks vertiefender Information versehen, den kommenden internationalen Besuchern zugänglich gemacht werden. Eine fiktive historische Entschuldigung, die Luegers Sprache nachempfunden ist,   und die vielleicht so oder so ähnlich geklungen hätte:

 

Sehr geehrte Damen und Herren meiner Nachwelt, der Welt von morgen: Hiermit entschuldige ich mich in aller Form und aufrichtig für meine antisemitische Rhetorik. Diese war mein primäres Vehikel, um Stimmen zu gewinnen und an der Macht zu bleiben.

Wenn Sie so wollen, war ich einer der ersten hierzulande, die den politischen Populismus in die Tat umgesetzt haben. Wie ich sehe, sind bis zum heutigen Tag viele Politiker meinem Weg gefolgt.

Ich habe den Antisemitismus in meinen politischen Reden und Stellungnahmen – ohne Rücksicht auf Verluste – ganz bewusst eingesetzt und auf der antisemitischen Klaviatur gespielt. Es war die Jahrhundertwende. Allen jenen, die ich durch Sprache verletzt habe, drücke ich mein aufrichtiges Bedauern aus, als Demokrat bitte ich Sie alle von Herzen um Verzeihung!

Hätte ich geahnt, wie sich ein gewisser Adolf Hitler wenige Jahrzehnte später auf mich beziehen würde, welches Inferno an Hassreden, welcher erschütternde Allbrand und welches unfassliche Morden über die Welt kommen würde, wäre mir als christlich-sozialem Demokraten zu Lebzeiten kein einziger antisemitischer Satz jemals über die Lippen gekommen.

Karl Lueger-Denkmal, ein Lösungsvorschlag für Wien; ©: Memory Gaps 2021
Karl Lueger-Denkmal, ein Lösungsvorschlag für Wien; ©: Memory Gaps 2021

Das Lueger-Denkmal soll weichen und der sogenannte "Hitler-Balkon" bleibt?

 

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich drängenderen Gedenkthemen zuzuwenden: etwa dem Wiener Rathausplatz, einige Jahre nach Fertigstellung des Wiener Rathauses in Karl-Lueger-Platz umbenannt, dann erneut Rathausplatz, kurz Adolf-Hitler-Platz, danach wieder Rathausplatz. An dem renovierten, gereinigten Hauptturm des Wiener Rathauses prangt noch immer ein Balkon, der 1938 "zu Ehren" Adolf Hitlers errichtet wurde.

 

Dieser heute noch an der Hauptfassade befindliche Balkon, im Wiener Volksmund "Hitler-Balkon" genannt, ist kein ursprünglicher Bauteil des Wiener Rathauses. Kaum bekannt war, dass dieser provisorische Holzbalkon auf dem Adolf Hitler 1938 vor die Menge trat, einige Monate später zu dessen Ehren in Stein nachgebaut wurde. Warum soll dieses nachträgliche Stein-Denkmal für Hitler erhaltenswert sein? In Zeiten des brüchig werdenden Humanismus hätte ein Abriss sogar erheblichen historisch-kulturpolitischen Symbolwert gehabt und dadurch weit über Wien hinaus gestrahlt.