Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Friedrich Hilble revisited"

Intervention 01. - 31. Januar 2021

 

Warum die seit 2015 regelmäßig veröffentlichte Idee von Memory Gaps, die Münchner Hilblestraße nach einem weiblichen Opfer der NS-Diktatur umzubenennen doch Erfolg haben könnte. Der Münchner Ältestenrat könnte diese Entscheidung bereits am 22. Januar 2021 treffen. 

 

 

Update vom

 

München: Ältestenrat spricht sich für die

Umbenennung der Hilblestraße aus

 

Memory Gaps: Ältestenrat spricht sich für die Umbenennung der Hilblestraße aus. Snippet: Süddeutsche Zeitung, 22.01.2021
Memory Gaps: Ältestenrat spricht sich für die Umbenennung der Hilblestraße aus. Snippet: Süddeutsche Zeitung, 22.01.2021

Friedrich Hilble war einer von vielen "überaus pflichtgetreuen" städtischen Beamten in München, der sich in den 1930er-Jahren durch nahezu "uneingeschränkte Loyalität" zum NS-Regime "überaus verdient" gemacht hatte. Er agierte offen antisemitisch, indem er als Leiter des städtischen Wohlfahrtsamtes bis 1937 unter anderem die Sozialhilfe für zahlreiche Juden verweigerte und darüber hinaus, aufgrund penibelster Befolgung und Auslegung der NS-Gesetzgebung, direkt und indirekt an der Deportation jüdischer Mitbürger und sogenannter "Asozialer" in Konzentrationslager beteiligt war.

 

Bereits seit 2015 erinnert Memory Gaps an Henriette Rothkirch (* 09. Dez. 1900 in München; † 31. März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg a. d. Saale). Henriette Rothkirch wurde am 24. Februar 1939 in Wien verhaftet, zunächst in das KZ-Lichtenburg und wenige Monate später in das KZ-Ravensbrück deportiert. Die Haftgründe lauteten: "Jüdin" und "politischer Widerstand". Henriette Rothkirch wurde am 31. März 1942 in Bernburg ermordet.

 

 

 

Memory Gaps unterstützt auch den 2019 vonseiten der Bezirkspolitik Neuhausen-Nymphenburg eingebrachten Vorschlag einer Umbenennung der Hilblestraße in Maria-Luiko-Straße.

 

 "Triptychon Maria Luiko", 2017, Porträtzeichnungen auf Büttenpapier, 42 x 29,5cm,

roter und blauer Farbstift; ©: Konstanze Sailer

 

Luiko lautete der Künstlername der Malerin und Grafikerin Marie-Luise Kohn, geboren 1904 in München. Wohnhaft in Neuhausen, versuchte sie vergeblich während der späteren 1930er-Jahre auszureisen, wurde schließlich deportiert und im November 1941, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Kaunas (Litauen), ermordet.

 

 

"Rothkirch, Memorial 42", 2021, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer
"Rothkirch, Memorial 42", 2021, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer

Beibehaltung versus Umbenennung

 

Die jahrelangen Erfahrungen in und mit verschiedenen Städten Deutschlands und Österreichs machen den Hinweis zulässig, dass oftmals Umbenennungen von Straßen, so nachvollziehbar, sinnvoll und verwaltungstechnisch einfach diese vielfach durchführbar wären, vonseiten der Kommunen nicht umgesetzt werden.

 

Die Gründe für das Beibehalten von Straßennamen, die auch heute noch nach NS-Mitläufern oder NS-Mittätern benannt sind, reichen von mangelndem Interesse administrativer Entscheidungsträger über mangelnden politischen Willen – insbesondere im Blick auf jeweilige Wahlen – Umbenennungen in Angriff zu nehmen, bis hin zu teils massiven Bürgerprotesten. Gegen die Umbenennungen von den Täter- und Mitläufernamen auf die Namen von Opfern des NS-Regimes werden vielfach Argumente ins Treffen geführt, wie etwa jenes, dass schließlich auch die Täter ein Teil der Geschichte gewesen seien.

 

Dementgegen soll erneut darauf hingewiesen werden, dass nach Personen benannte Straßen und Plätze kommunale Ehrungen darstellen, die sich auf besondere Leistungen eines Menschen beziehen, die jedoch stets auch das gesamte Leben der betreffenden Persönlichkeit mit einbeziehen. Es sollte daher in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts kein allzu großes Problem mehr darstellen, Personen, die mit dem NS-Regime kooperierten oder von der NS-Diktatur zulasten anderer Menschen profitierten, und denen bereits Jahrzehnte hindurch die Ehre kommunaler Straßenbenennungen zuteilwurde, abzulösen.

 

"Hendelsohn, Memorial 54", 2021, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer
"Hendelsohn, Memorial 54", 2021, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer

Eine fast vergessene Verlegerfamilie

 

In diesem Zuge könnte auch an die maßgebliche jüdischstämmige Verlegerfamilie der in der Hilblestraße ansässigen renommierten Verlagsgruppe Droemer Knaur erinnert werden. An Gabriel Hendelsohn (1861-1916), dessen Söhne Erich und Willy und dessen Tochter Irma. Im Zuge der "Arisierung" des Verlages wurde die Familie Hendelsohn gezwungen, per Ende 1933 operativ aus dem Verlag auszuscheiden; teils als Gesellschafter, als Teilhaber und gemeinsam mit Adalbert Droemer mit der Verlagsleitung befasst, wurden sie von Letzterem ausbezahlt. Die entrichtete Gesamtsumme von 450.000 Reichsmark entsprach zu jener Zeit etwa einem Drittel des durchschnittlichen Jahresumsatzes des Verlags.

(Quelle: "Droemer Knaur. Die Verlagsge-

schichte 1846-2017", München 2017)

 

Diese sehr frühe "Verlags-Arisierung" kann daher nicht mit den zahllosen anderen schamlosen und verheerenden NS-Enteignungen gleichgesetzt werden, bei denen für jüdisches Vermögen nichts oder nahezu nichts abgegolten wurde. Irma Rahn (*1892, geb. Hendelsohn) wanderte 1934 mit Ihrem Mann und ihrer Tochter nach Spanien aus und verstarb dort 1944.

 

Erich Hendelsohn (*1895) und sein Bruder Willy (*1904), die beide kurzfristig im Nov. und Dez. 1938 im KZ-Sachsenhausen inhaftiert wurden, emigrierten Anfang 1939. Willy gelang es, mit seiner Frau und seiner Tochter in die USA zu flüchten; er war im amerikanischen Verlagswesen tätig und starb 1975 in New York. Erich emigrierte mit seiner Ehefrau nach Brasilien und zehn Jahre später, 1949, nach Los Angeles, wo er wenige Monate nach seiner Übersiedelung Suizid beging.

 

In der Hilblestraße könnte eine Gedenktafel für die Verlegerfamilie Hendelsohn angebracht werden; nicht nur, weil deren Leben andere, unerwartbare Verläufe annahmen, sondern auch, weil deren gewaltsam herbeigeführtes Ausscheiden aus dem Verlag die Verlagsgeschichte beeinflusste.

 

 

Ein Blick auf die Straßenkarte Münchens zeigt zudem, dass die Hilblestraße direkt auf die Dachauer Straße stößt. Memory Gaps regt auch deshalb erneut an, die nach Friedrich Hilble benannte Straße umzubenennen, denn man kann sich kulturell nicht ohne Weiteres an der Ecke Hilble- und Dachauer Straße verabreden. Solche Straßen sollten verkehrsplanerisch keinesfalls auf einander treffen, denn derart harte und zudem nicht kontextualisierte Berührungspunkte können niemals zu Brücken für die Zukunft werden.