Kunstinitiative

des Gedenkens

von

Konstanze Sailer

"Die braune Gegenwart", Vol. 2

Münchner Interventionen 2015 - 2021

Die Erstausgabe von "Die braune Gegenwart" erschien 2017, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von Werken der deutsch-österreichi-schen Malerin Konstanze Sailer in der Galerie Christoph Dürr, München.

 

Die vorliegende Ausgabe ist eine vollständig durchgesehene Neuauflage, anläs-slich der Wiederaufnahme 2021. Mit 30 Abbildungen von Werken aus den Jahren 2010 - 2017, Tusche auf Papier, von Konstanze Sailer sowie künstlerischen Interventionen und biografischen Kurztexten zu folgenden Personen, u.a.:

 

Werner Egk, Friedrich Hilble, Clemens Krauss, Agnes Miegel, Hans Pfitzner,

Ina Seidel und Ernst Udet.

Memory Gaps (Hrsg.): "Die braune Gegenwart", 2021, Verlag: White Library Books
Memory Gaps (Hrsg.): "Die braune Gegenwart", 2021, Verlag: White Library Books

Die Buchpräsentation von "Die braune Gegenwart" fand am 23. Juli 2021,

im Temporären Zentrum für Restitution, in 80636 München statt.

Friedrich Hilble, städtischer Beamter

 

Friedrich Hilble war einer von vielen "überaus pflichtgetreuen" städtischen Beamten in München, der sich in den 1930er-Jahren durch nahezu "uneinge-schränkte Loyalität" zum NS-Regime "überaus verdient" gemacht hatte. Er agierte offen antisemitisch, indem er als Leiter des städtischen Wohlfahrtsamtes bis 1937 unter anderem die Sozialhilfe für zahlreiche jüdische MitbürgerInnen verweigerte und, darüber hinaus, aufgrund penibelster Befolgung und Auslegung der NS-Gesetzgebung, direkt und indirekt an der Deportation jüdischer Mitbürger und, lt. NS-Diktion, sogenannter "Asozialer" in Konzentrationslager beteiligt war.

 

Im Stadtbezirk Neuhausen-Nymphenburg wird Friedrich Hilble nach wie vor die Ehrung durch einen Straßennamen zuteil. Ein Blick auf die Straßenkarte Münchens zeigt, dass die Hilblestraße direkt auf die Dachauer Straße stößt. Wie Memory Gaps seit 2015 beständig einmahnt, sollten solche Straßen einander keinesfalls nur kommentarlos berühren, denn derartige Berührungspunkte werden niemals zu Brücken.

Maria Luiko, Malerin und Grafikerin

 

Luiko lautet der Künstlername der Malerin und Grafikerin Marie-Luise Kohn, geboren 1904 in München. Wohnhaft in Neuhausen, versuchte sie vergeblich während der späteren 1930er-Jahre zu emigrieren, wurde schließlich deportiert und im November 1941, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Kaunas (Litauen), ermordet.

 

Memory Gaps hat 2015 eine Idee zur Umbenennung der Hilblestraße veröffent-licht und unterstützt gleichfalls den vonseiten der Bezirkspolitik Neuhausen-Nymphenburg 2019 eingebrachten Vorschlag einer Umbenennung der Hilblestraße in Maria-Luiko-Straße.

"Triptychon Maria Luiko", 2017, Porträtzeichnungen auf Büttenpapier, 42 x 29,5cm,

roter und blauer Farbstift; ©: Konstanze Sailer

Agnes Miegel, Schriftstellerin und Balladendichterin

 

Auch nach Agnes Miegel ist heute nach wie vor eine Straße in München Bogenhausen benannt, ebenso wie in Dutzenden weiteren Städten bzw. Orten Deutschlands. Bis zu einem gewissen Grad hatten Menschen auch im totalitären NS-Regime die Wahl: Manche entschieden sich dafür, jüdische Mitbürger zu verstecken und zu retten. Andere entschieden sich dafür, durch ihre Haltung der NS-Diktatur so wenig Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen.

 

Die in Königsberg geborene Schriftstellerin und Balladendichterin Agnes Miegel, mütterlicherseits mit Wurzeln im Salzburger Pongau, entschied sich dafür, 1933 das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler zu unterzeichnen. Sie war Mitglied in der NS-Frauenschaft, nahm Einladungen und Ehrungen der Hitlerjugend an, trat im Jahr 1940 der NSDAP bei und nahm auch den – von Goebbels persönlich genehmigten – Goethepreis der Stadt Frankfurt an.

Dankschreiben von Agnes Miegel an Gauleiter Friedrich Rainer. Quelle: Salzburger Volksblatt, 1939
Dankschreiben von Agnes Miegel an Gauleiter Friedrich Rainer. Quelle: Salzburger Volksblatt, 1939

1944 wurde sie von Hitler nicht nur auf die sogenannte Gottbegnadetenliste gesetzt, sondern innerhalb dieser auf die Sonderliste der unersetzlichen Künstler.

 

Wie zahlreiche andere bedeutende KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen ließ Agnes Miegel sich für kultur-propagandistische Zwecke vonseiten des NS-Regimes instrumentalisieren. Substanzielle Distanzierungen von der NS-Diktatur finden sich bei ihr auch nach 1945, abgesehen von allgemeinen Floskeln wie etwa "Unrast und Not dieser Zeit", keine.

 

In zahlreichen Städten Deutschlands wurden bereits Agnes-Miegel-Straßen umbenannt, ebenso wie Schulen, die noch den Namen der Dichterin trugen. An ihrer Stelle könnte in München Bogenhausen mittels Straßennamen künftig an eines der vielen deportierten und ermordeten jüdischen Münchner Kinder erinnert werden, wie beispielswiese an Judis Weißblüth.

Ina Seidel, Schriftstellerin und Lyrikerin

 

Ähnliches gilt für die Schriftstellerin Ina Seidel. In München Bogenhausen gibt es nicht nur eine nach Agnes Miegel benannte Straße, sondern seit 1984 auch eine, die den Namen der Lyrikerin Ina Seidel trägt: den Ina-Seidel-Bogen. Beiden Schriftstellerinnen Agnes Miegel und Ina Seidel, während der NS-Diktatur heimlich und im Volksmund "Nazissen" genannt, attestierte Carl Zuckmayer "völlige Hirnvernebelung".

 

Seidel unterzeichnete wie Miegel 1933 nicht nur das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Hitler, zahlreiche ihrer Artikel und Gedichte während der NS-Diktatur zeugen von aufrichtigem "Führerglauben" und sind voll von glühenden Huldigungen an Adolf Hitler. Zu Hitlers 50. Geburtstag 1939 schrieb Seidel das Gedicht "Lichtdom", worin es u.a. heißt:

 

"In Gold und Scharlach, feierlich mit Schweigen,

ziehn die Standarten vor dem Führer auf.

Wer will das Haupt nicht überwältigt neigen?"

Für zahllose bildende KünstlerInnen, Komponisten, Dirigenten, SchriftstellerInnen und SchauspielerInnen, die als Karriereopportunisten von der NS-Zeit massiv profitierten, gilt, was der österreichische Schriftsteller und Aphoristiker Alfred Polgar sehr pointiert in zutiefst betroffen machende Worte fasste:

 

"Sie mußten, so hart es ihnen fiel, hinein in die Schrifttums-Kammer, die Kultur-Kammer, die Theater-Kammer, die Presse-Kammer. Wenn ich sie nicht recht von Herzen bedauern kann, so deshalb, weil mein Mitleid aufgebraucht wird für die, die in die Gaskammer mußten."